„Beunruhigende“ Stiftung Warentest-ErgebnisseKölner Verein fordert mehr Kinderschutz bei Spiele-Apps

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Ein Junge spielt ein Videospiel auf seinem Smartphone und überträgt es mit einem zweiten Handy per Facetime zu seinem Freund.

Ein Junge spielt ein Videospiel auf seinem Smartphone (Symbolbild).

Naziparolen, Sexszenen und Amokläufe: Fast alle Spiele fielen im Test der Warentester durch – für den Kölner Kinderschutzbund „wenig überraschend.“

Als der Junge das Spiel am Handy beenden will, erscheint eine traurig dreinblickende Comic-Kuh und fragt: „Möchtest du wirklich aufhören? Wenn du jetzt aufgibst, verlierst du deine Punkte und ‚Wolke Sieben‘-Boni!“ So bauen die Entwickler des Spiels Township Druck auf Kinder auf.

Traurig dreinblickende Comic-Kuh drängt Kinder dazu, weiterzuspielen statt das Spiel zu beenden.

Die traurige Comic-Kuh drängt Kinder dazu, weiterzuspielen statt das Spiel zu beenden.

Die Szene ist nur ein Vorgeschmack auf die problematische Seite von Spiele-Apps, welche die Stiftung Warentest unter die Lupe genommen hat. Kauffallen, Sexszenen und Naziparolen: Diese Inhalte fanden die Tester reihenweise in Spiele-Apps, die eigentlich auch für Kinder zugelassen sind, wie sie am Donnerstag (16. Mai) mitteilte.

Stiftung Warentest: Minecraft fällt nicht durch als einzige App für Kinder

Von den 16 getesteten Spielen seien 15 durchgefallen. Nur Minecraft landete auf der mittleren von drei Bewertungsstufen – sei aber auch „bedenklich.“ Viele problematische Inhalte stammten nicht von den Anbietern, sondern einzelnen Spielern oder Gruppen, erklärte der Bereichsleiter Untersuchungen der Stiftung Warentest, Holger Brackemann. Er bezeichnete das Testergebnis als „beunruhigend.“

Die meisten Spiele seien auf nahezu endlose Nutzung angelegt. Wer unterbreche, verliere mitunter den eigenen Spielstand – wie im genannten Beispiel. Hier werde emotionaler Druck aufgebaut, weiterzuspielen. In anderen Fällen werde tägliches Spielen belohnt. Das nennen Experten „nudging“ (Stupsen).

Cyber-Grooming: Selfies und im Extremfall Treffen mit Kindern

Zudem sei es in einigen Apps viel zu einfach für Fremde, mit Kindern zu schreiben und sie nach ihrer Telefonnummer zu fragen, zum Beispiel in der App Clash of Clans. Für den Geschäftsführer des Kölner Kinderschutzbunds, Lars Hüttler, lauere hier die Gefahr für Cyber-Grooming, also das werbende Annähern an Kinder im Internet. 

„Wir sprechen hier von sexualisierter Gewalt“, teilte er dieser Zeitung mit und erklärte, wie einfach es Fremde in Spielen mit Chat-Funktion haben: „Pädophil veranlagte Menschen nehmen erstmal Kontakt auf, plaudern und testen, wie das Kind so tickt. Dann versuchen sie zu erfahren, wo das Kind unzufrieden ist, um Mitleid vorzutäuschen.“ Wenn das Vertrauen, teilweise über Monate, aufgebaut wurde, werden Selfies verlangt und im Extremfall Treffen mit den Kindern vereinbart.

Gardenscapes: Grenzverschiebung rechtsextremer Inhalte

Stiftung Warentest fand außerdem vermehrt rechtsextreme Inhalte. In der App Gardenscapes gebe es Nutzer mit den Namen „SiegHeil“ und „Judenkiller88“. Das sei auch Thema im Kinderschutzbund, so Hüttler: „Die Nutzer versuchen damit, die Grenzen des Sagbaren zu verschieben. Das birgt die Gefahr, dass bestimmte Begriffe und Namen bagatellisiert werden.“

Darüber hinaus sehen die Testerinnen und Tester eine Tendenz zu „raffinierter Monetarisierung“. Die meisten Apps ließen sich zwar gratis installieren, verführten jedoch zu In-App-Käufen. Belgien stufe inzwischen etwa Beutekisten, die man kaufen müsse, ohne zu wissen, was sich darin befinde, als Glücksspiel ein, erklärte Brackemann von der Stiftung Warentest.

Das eine Computer-Fenster mit Hausaufgaben ist offen, wenn die Eltern im Raum sind. Aber im anderen Fenster läuft parallel ein Online-Spiel
Lars Hüttler, Geschäftsführer des Kölner Kinderschutzbunds

Es brauche klare und nachvollziehbare Bezahlmodelle. Außerdem müssten kinder- und jugendgefährdende Inhalte standardmäßig deaktiviert sein. „Eine konsequente Überwachung dieses Marktes fehlt“, kritisierte Brackemann. 

Kölner Verein: „Alle müssen Kinderschutz ernst meinen“

Hüttler sieht dagegen alle Parteien in der Bringschuld: Spiele-Entwickler, App-Store-Betreiber wie Google und Apple, sowie der Gesetzgeber: „Alle müssen Kinderschutz ernst meinen und danach handeln! Wenn nicht, dann kann man das nicht nennenswert eindämmen. Dann kratzt man nur an der Oberfläche.“

Hüttler fand das Testergebnis „leider wenig überraschend.“ Die Internetnutzung allgemein, ob Spiele, soziale Medien oder Streaming-Service, sei ein Dauerbrenner in Kölner Familien.

Auch Eltern sollten ihr Nutzungsverhalten hinterfragen

Die Online-Nutzung nehme auch zu, weil der Unterricht vermehrt ans Internet gekoppelt sei, betonte Hüttler: „Das eine Fenster mit Hausaufgaben ist offen, wenn die Eltern im Raum sind. Aber im anderen Fenster läuft parallel ein Online-Spiel. Die Kontrolle für Eltern ist wahnsinnig schwierig geworden, weil das Digitale in alle Lebensbereiche Einzug erhalten hat.“

Das gelte genauso für Erwachsene, so Hüttler. Daher sollten auch Eltern ihr eigenes Nutzungsverhalten hinterfragen und gemeinsam mit der Familie die Zeit am Bildschirm reduzieren.

Über jeweils mindestens drei Monate befassten sich die Testerinnen und Tester mit folgenden Apps: Minecraft, Brawl Stars, Candy Crush Saga, Clash of Clans, Fortnite, Gardenscapes, Genshin Impact, Hay Day, Monopoly Go, Pokemon Go, Roblox, Royal Match, Solitaire Grand Harvest, Subway Surfers, Township und Whiteout Survival. (mcl mit kna und afp)

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