Offene Ablehnung und BeleidigungenQueerfeindlichkeit unter Kölner Schülern steigt an

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Vier Ehrenamtliche des Anyway halten Schilder mit negativen Äußerungen von Schülern aus ihren Workshops.

Die Ehrenamtlichen des Anyway erleben immer öfter queerfeindliche Haltungen in ihren Workshops an Schulen.

Vereine für queere Aufklärungsarbeit und eine Kölner Schule berichten von Anfeindungen. Social Media und das Elternhaus haben großen Einfluss.

Seit der Coronapandemie zeigen immer mehr Schülerinnen und Schüler offene Ablehnung gegenüber queeren Menschen, berichtet Dominik Weiss. Er ist Projektleiter von „WiR* - Wissen ist Respekt“ des Kölner Vereins Anyway. Die Ehrenamtlichen des Projekts bieten seit 2016 Workshops zu sexueller und geschlechtlicher Vielfalt an Kölner Schulen an.

Köln: Immer jüngere Schüler zeigen queerfeindliche Haltungen

„Neben vielen Schülern, die offen und zugänglich sind, gibt es immer mehr, die dem Thema deutlich ablehnend gegenüberstehen. Sie äußern dies auch zunehmend laut und stören die Workshops bewusst durch ihr Verhalten”, sagt Weiss. Unter den Teilnehmenden komme es auch vermehrt zu Beleidigungen gegenüber den Ehrenamtlichen. Vereinzelt soll es nach Workshops auch zu Anrufen im Büro von Anyway gekommen sein, in denen Ehrenamtliche lächerlich gemacht wurden.

Ähnliches berichten auch der Verein Schlau sowie Pro Familia Köln, die ebenfalls Workshops an Kölner Schulen anbieten. Laut Mai Grundmann von Schlau sei es auffällig, dass es zunehmend jüngere Schülerinnen und Schüler seine, die queerfeindliche Haltungen zeigen. Vor ein paar Jahren sei unter ihnen eher ein durch Unwissen hervorgerufenes Unwohlsein präsent gewesen, jetzt werden über Plattformen wie TikTok auch unter jungen Zielgruppen queerfeindliche Meinungen verbreitet.

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Queere Jugendliche werden teilweise massiv gemobbt

Auch Jan Gentsch von Pro Familia beobachtet offen ausgesprochene Ablehnung: „Dabei wird immer öfter eine Tonart angeschlagen, in der queere Personen als „Missgeburten“ oder „Asoziale“ betitelt werden. Queere Jugendliche werden teilweise massiv gemobbt, haben Angst davor, entdeckt und zwangsgeoutet zu werden.“

Eine Mitarbeiterin eines Kölner Gymnasiums, dessen Namen sie nicht öffentlich nennen möchte, berichtet, dass Schüler sich über geoutete Jugendliche lustig machen und eine Regenbogenfahne im Schulgebäude bespucken. Auffällig sei, dass queerfeindliche Aussagen in der Oberstufe besonders offen zur Schau gestellt werden, sagt eine Mitarbeiterin der Schule. „Außerdem ist die Geschlechteraufteilung sehr eindeutig: Fast alle queerfeindlichen Aussagen, von denen wir wissen, stammen von Jungs beziehungsweise jungen Männern“.

In Extremfällen nahmen bis zu zwei Drittel einer Klasse nicht an Workshops teil.
Dominik Weiss, Anyway e.V.

Dominik Weiss vom Anyway vermutet, dass Schülerinnen und Schüler während der Pandemie verlernt haben, mit anderen im Austausch zu bleiben. Soziale Medien seien in dieser Zeit Fluch und Segen zugleich gewesen. Einerseits können Jugendliche dort queere Sichtbarkeit erleben. Andererseits finden sie dort auch viele queerfeindliche Inhalte. Rechtsextreme und konservative Kreise schüren auch online immer häufiger Ressentiments gegen queere Themen.

Auch der Einfluss der Eltern sei deutlich zu spüren. Immer häufiger werden Kinder an den Workshop-Tagen krankgemeldet. „In den letzten Monaten nahmen in Extremfällen bis zu zwei Drittel einer Klasse nicht an Workshops teil“, sagt Weiss. Auch queerfeindliche Einstellungen werden häufig direkt von Eltern übernommen. Nach Angaben des Gymnasiums scheint dies besonders bei Jugendlichen aus konservativ-religiösen Elternhäusern der Fall zu sein. „Als Begründung für homophobe Äußerungen wird häufig Bezug auf die Bibel oder den Koran genommen“, so die Mitarbeiterin der Schule.

Mehr Verantwortungsbereitschaft von Schulen gefordert

Schlau fordert eine stärkere Verantwortungsbereitschaft von den Schulen: „Der Lehrplan soll vermehrt queere Themen aufgreifen“, sagt Mai Grundmann von Schlau. Diese Lücke müssen aktuell die Workshops füllen. Wenn Schüler gefestigte queerfeindliche Meinungen zeigen, sei das aber sehr anstrengend für die Freiwilligen. Deshalb bestehe neben mehr finanziellen Mitteln für das Projekt auch der Bedarf an einer politischen Strategie im Umgang mit der zunehmenden Queerfeindlichkeit.

Die Mitarbeiterin des Kölner Gymnasiums gibt an, Jugendliche, die Queerfeindlichkeit in der Schule erleben, können sich an die Klassenleitung oder die Schulsozialarbeit wenden. Allerdings sei auch dort nicht jeder im Kollegium allumfassend für queerfeindliche Diskriminierung sensibilisiert oder trainiert. Außerdem werde ein Großteil der Diskriminierung gar nicht beim Lehrpersonal gemeldet. 

Der Arbeitskreis Schule, an dem auch die Vereinigung „Schule der Vielfalt“ beteiligt ist, trifft sich am 15. Mai im Anyway in Köln, um über die Einrichtung eines Interventionsteams für Schulen zu sprechen. Unklar sei jedoch bislang, ob es tatsächlich zu einer Finanzierung kommen kann. In einer neuen Studie befragt die Jugendeinrichtung Anyway außerdem queere Schüler aus Köln, wie stark sie von Diskriminierung betroffen sind. Die Befragung geht bis einschließlich 21. Mai 2024 und erfolgt digital unter www.anyway-koeln.de/studie.

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