So war der „Tatort“Bei diesem Fall mussten sogar die Kommissare speien

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Bui Thi Vien hat den Kommissaren Blumen auf die Jacken gesteckt. Die beiden Frauen drücken einander die Hände. Kommissarin Bonard hat die Augen geschlossen. Karow steht mit dem Rücken zur Kamera und schaut auf die Geste der beiden Frauen.

Die von Hans Engler misshandelte Bui Thi Vien (Hanh Mai Thi Tran) dankt beim Fest in der Pagode Kommissar Karow (Mark Waschke) und Kommissarin Bonard (Corinna Harfouch).

Der neue Berliner „Tatort“ erschüttert mit der Folterung und Misshandlung junger Frauen. Und erzählt über die vietnamesische Gemeinde und Kultur.

Es ist erst ihr zweiter gemeinsamer Einsatz, doch der „Tatort“„Am Tag der wandernden Seelen“ bringt das Berliner Duo Robert Karow (Mark Waschke) und Susanne Bonard (Corinna Harfouch) immer wieder an ihre Grenzen. Und nicht nur sie.

Der Fall

Hans Engler wird mit tot in der Wohnung aufgefunden, in der er mit seiner dementen Mutter lebt. Von der Mutter gibt es jedoch keine Spur. Bei der Hausdurchsuchung finden die Ermittler eine Art Folterkammer im Keller. Blut-, Urin- und Spermaspuren, mehrere Messer sowie eine Kamera weisen darauf hin, dass der 59-Jährige dort mehrere Frauen gequält und misshandelt hat. Sein letztes Opfer allerdings konnte sich offenbar befreien, stellte sich Hans Engler und fügte ihm mehrere Messerstiche zu.

Zwar betont Kommissarin Bonard, dass es hierbei um Notwehr handelt und der Gefolterten keinerlei Konsequenzen drohen. Allerdings fehlt von Englers Opfer jede Spur. Lediglich eine rote Haarlocke ist als Indiz vorhanden.

Die Auflösung

Über die Tierärztin Dr. Lê Müller (Mai-Phoung Kollath), für deren Sohn Hans Engler die Vaterschaft übernommen hatte, kommen Karow und Bonard auf die Lösung. Sie erfahren, dass Dr. Müller Pflegekräfte aus Vietnam an Engler vermittelt hat, die seine demente Mutter unterstützen sollten. Diese ist jedoch schon ein halbes Jahr tot und findet sich später verbuddelt im Garten.

Die Ärztin ist es auch, die den Kommissaren eine Spur zur vietnamesischen Gemeinde in Berlin und später zu der flüchtigen Bui Thi Vien (Hanh Mai Thi Tran) gibt. Als besagte junge Vietnamesin bei Frau Müller auftaucht und der Polizei die schrecklichen Ereignisse in Englers Wohnung schildert, hat Kommissarin Bonard bereits herausgefunden, dass Engler nicht allein gefoltert hat. Ein altes Foto führt zu Werner Siepert (Hannes Pastor), den die Ermittler in seiner Wäscherei auffinden.

Fazit

Der „Tag der wandernden Seelen“, der dem Berliner Krimi seinen Titel gibt, ist eigentlich ein Fest der Vergebung. In vielen ostasiatischen Ländern gedenkt man hier den Ahnen und ihrer herumirrenden Geister. Doch der „Tatort“ zeigt auf unheimliche Weise, dass man nicht allen Menschen vergeben sollte.

Während sich die Kommissarin schon am Anfang des „Tatorts“ kurz auf den Rasen des Engler-Grundstücks legen muss, um die schockierenden Funde im Keller der Wohnung zu verarbeiten und Englers Handeln scharf verurteilt, kommt Kommissar Karow der Mageninhalt hoch, nachdem er sich die Aufnahmen Englers im Rahmen der Ermittlungen ansehen muss. 

Den Zuschauern bleiben die Details der Gewalt, Folterungen, Misshandlungen und anderen Grausamkeiten glücklicherweise erspart. Aber die sind auch gar nicht nötig. Das Inventar des Folterkellers, die Verletzungen der entkommenden Vien und ihre Schilderungen reichen mehr als aus, um sich das Schlimmste auszumalen. Dazu kommt in den entsprechenden Momenten eine gelungene Kamera- und Tonarbeit.

Regisseurin Mira Thiel (die das Drehbuch gemeinsam mit Josefine Scheffler selbst geschrieben hat) hat einen emotional aufwühlenden „Tatort“ geschaffen, der obendrein die übliche Ermittlungsabfolge umdreht. Gesucht ist nicht ein skrupelloser Mörder, sondern ein traumatisiertes Opfer von körperlicher und sexueller Gewalt. Erst gegen Ende nimmt der Krimi wieder Fahrt auf, als klar wird, dass Hans Engler nicht allein agiert hat.

Dazwischen verbringt der Berliner „Tatort“ viel (und vielleicht auch etwas zu viel) Zeit im vietnamesischen Kulturkreis und liefert trotz der Härte der Ermittlungsergebnisse sogar einige amüsante Szenen – zum Beispiel, wenn sich der barsch auftretende Kommissar Karow eine Maniküre genehmigt oder sich an spirituellen Gepflogenheiten probiert, um das Vertrauen der vietnamesischen Gemeinde zu gewinnen. Glücklicherweise hilft ihm die LKA-Kollegin Pham Thi Mai (Trang le Hong) dabei.

Dass bei all den Szenenwechseln zwischen teilweise horrorartigem Krimifall und südostasiatischer Kultur die Rolle und Entwicklung der beiden Berliner Ermittler untergeht, ist zu verzeihen. Auch, dass der Fall ein paar verwirrende Momente aufweist (Warum zum Beispiel geht Vien nicht direkt zu Dr. Müller?). In Erinnerung bleiben wird dieser „Tatort“ ohnehin. Dafür wenigstens waren die abscheulichen Taten von Engler und Siepert nützlich.

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