Weltweiter Hype um MedikamentWie ein Diabetespatient mit der Abnehmspritze Ozempic 36 Kilo verlor

Lesezeit 4 Minuten
Zu sehen ist die Abnehmspritze Ozempic.

Um das Abnehmmedikament Ozempic ist ein Hype ausgebrochen.

Welche Erfahrungen ein Diabetespatient mit dem Abnehmmedikament gemacht hat und warum es nicht jeder gegen Übergewicht einsetzen kann.

Inzwischen kann Jürgen Volbracht die rund 200 Meter von seinem Haus zum Rewe-Markt bei ihm um die Ecke wieder gehen, ohne sich zwischendurch auf eine Bank zu setzen. Vorher seien die Rückenschmerzen zu stark gewesen, um länger zu Fuß zu gehen. Der Rechtsanwalt aus Solingen hat im Januar 2023 mit einer Therapie mit der Abnehmspritze Ozempic begonnen. Volbracht leidet an Diabetes Typ 2.

Um das Medikament, das für Nichtdiabetiker unter dem Markennamen Wegovy vertrieben wird, gibt es seit Monaten einen regelrechten Hype. Viele Menschen nutzen den Wirkstoff Semaglutid zur Gewichtsreduktion – auch ohne starkes Übergewicht zu haben. Prominente wie Elon Musk sollen damit abgenommen haben.

Die Menschen, die das Medikament fürs Schönsein einsetzen, enthalten es denen vor, die krank sind
Susanne Reger-Tan, Leiterin des Diabeteszentrums an der Uniklinik Essen

Ein Trend, den unter anderem Volbrachts behandelnde Ärztin Susanne Reger-Tan kritisch sieht: „Die Menschen, die das Medikament fürs Schönsein einsetzen, enthalten es denen vor, die krank sind“, sagt die Leiterin des Diabeteszentrums an der Uniklinik Essen.

Abnehmspritze „Ozempic“: Diabetiker verlor 36 Kilo 

Jürgen Volbracht hat durch Ozempic bislang 36 Kilo verloren und ist nun bei einem Gewicht von 116 Kilo angelangt. Der gebürtige Sauerländer ist 1,92 Meter groß. „Früher war ich sportlich, habe Handball und Tennis gespielt.“ Doch mit der Zeit wurde der Sport weniger. 50 bis 60 Stunden pro Woche Arbeit in der eigenen Kanzlei, „ich habe mich immer weniger bewegt“.

Hinzu kam: Schokoriegel oder Haribo für zwischendurch, regelmäßig Alkohol am Abend. Zwischenzeitlich schaffte er es mit einer Abnehmkur, 40 Kilo zu verlieren. Doch die Gewichtsreduktion war nicht von Dauer: „Fünf Jahre später war ich bei 150 Kilo.“

Nahrung bleibt länger im Magen, und der Patient fühlt sich länger satt
Oberärztin Susanne Reger-Tan

Das starke Übergewicht führte zu gesundheitlichen Problemen. Der heute 69-Jährige litt an Schmerzen, vor allem am Rücken. 2022 unterzog er sich einer stationären Schmerztherapie in der Uniklinik Essen. Die behandelnde Ärztin habe ihn auf das Diabetesmedikament Ozempic hingewiesen und es ihm verschrieben. Zusätzlich begann er mit leichtem Intervallfasten: „Ich versuche, mindestens 12 bis 14 Stunden zwischen Abendessen und Frühstück zu lassen.“

Die Bilanz: 36 Kilo verloren, auch die Rückenschmerzen seien inzwischen weg. „Meine Blutwerte sind fantastisch.“ Jürgen Volbracht hat es bereits geschafft, fünf Kilometer zu wandern und 15 Kilometer mit dem Rad zu fahren. Seit Januar nimmt er nicht mehr Ozempic, sondern Mounjaro, ebenfalls eine Abnehmspritze für Diabetespatienten. „Die kann noch mehr.“

Abnehmspritzen: So wirken die Medikamente

Wie wirken die Medikamente? Der Wirkstoff Semaglutid – bei Mounjaro ist es Tirzepatid – ähnelt Hormonen, die im Darm ausgeschüttet werden. Er hemmt den Appetit und die Magenentleerung. „Nahrung bleibt länger im Magen, und der Patient fühlt sich länger satt“, erläutert die Oberärztin Reger-Tan. Das bestätigt Jürgen Volbracht: „Ich habe Appetit, aber ich esse die Portionen oft nicht auf. Und es dauert länger, bis ich wieder Hunger habe.“ Obwohl er weniger esse, empfinde er kein Defizit. Die wöchentliche Spritze in Form eines Pens setzt er sich selbst.

Bringen die Abnehmspritzen gesundheitliche Risiken mit sich? „Es gibt keine schwerwiegenden Nebenwirkungen“, sagt Susanne Reger-Tan. Es könne zu Übelkeit, Erbrechen oder Verstopfung kommen. „Das versucht man durch eine langsame Dosierung zu vermeiden.“

Krankenkassen zahlen nur bei Diabetes

Wird Ozempic oder Mounjaro einem Diabetespatienten verschrieben, zahlt das die Krankenkasse. „Bei Adipositas aber nicht“, erklärt Susanne Reger-Tan. Der Wirkstoff Semaglutid sei für die Behandlung von Übergewicht in Deutschland zwar zugelassen, aber als „Lifestyle-Medikament“ nicht erstattungspflichtig. Ein Umstand, den Jürgen Volbracht nicht verstehen kann. „Ich würde mir wünschen, dass die Kassen die Kosten auch für Menschen mit Adipositas übernehmen würden.“

Auch aus ärztlicher Sicht wäre das zu befürworten, sagt seine Ärztin. „Adipositas ist eine Erkrankung mit deutlichen Risiken für weitere Erkrankungen und eine höhere Sterblichkeit.“ Die Abnehmspritzen selbst zu bezahlen, könnten sich jedoch nur wenige Menschen leisten – „die mit genug Geld in der Tasche“. Je nach Dosierung kostet ein Pen für eine vierwöchige Anwendung bei Wegovy ab 172 Euro.

Ob die Krankenkassen die Kosten auch bei Adipositas übernehmen sollen, wird aktuell diskutiert. Die Kassen lehnen das jedoch ab, weil sie massive Kosten befürchten.

Wegen des Hypes um die Abnehmspritzen gibt es seit Monaten Engpässe. „So schlimm, dass wir keine Patienten mehr neu einstellen sollen“, sagt Reger-Tan. Deshalb gehe es darum, zunächst bei begonnenen Therapien für Kontinuität zu sorgen. Für Jürgen Volbracht geht die Behandlung weiter. „Ich bin noch nicht am Ziel.“ Er strebe ein Gewicht von 105 Kilo an. (RND)

KStA abonnieren