Invasion der TropenmückenLässt sich die summende Pandemie noch stoppen?

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Tigermücke auf Haut.

Tigermücke auf Haut.; Insektenstiche

Dengue, Zika und Chikungunya: Dass Mücken tropische Krankheiten übertragen, wird durch den Klimawandel weltweit zum Problem. Auch in Deutschland?

Eine solche Mückensaison hat Brasilien noch nie erlebt. Eigentlich sollte sie erst im März ihren Höhepunkt erreichen, so war es zumindest in den Vorjahren. Doch plötzlich meldet das Gesundheitsministerium schon im November rasant steigende Fälle von Dengue – der Krankheit, die von der Gelbfiebermücke (Aedes aegypti) verbreitet wird.

Dengue ist eine Erkrankung mit normalerweise milden, grippeartigen Beschwerden wie Fieber, Kopfschmerzen oder Muskel- und Gelenkschmerzen. In seltenen Fällen kann sie aber auch schwer verlaufen mit Bauschmerzen, Erbrechen, Atemnot und Bewusstseinsstörungen. Mittlerweile haben sich in Brasilien mehr als 4,4 Millionen Menschen mit dem Dengue-Virus infiziert, rund 2200 sind gestorben (Stand: 6. Mai 2024). Setzt sich dieser Trend fort, wären das so viele wie noch nie in diesem Zeitraum.

„Das ist sehr besorgniserregend“, sagt André Siqueira. Der Tropenmediziner vom Forschungsinstitut Fundação Oswaldo Cruz sitzt in seinem Büro in Rio de Janeiro. Rio ist einer der zehn Bundesstaaten, die wegen des Dengue-Ausbruchs den Notstand ausgerufen haben. Zu viele Fälle zu gleicher Zeit – das hat Arztpraxen und Kliniken überfordert, vor allem in Brasiliens Hauptstadt Brasília. „Dort hatten die Menschen zeitweise keinen Zugang zu medizinischer Versorgung“, berichtet Siqueira.

Brasilien will die Mückenplage nun ein für alle Mal stoppen – und wählt dafür einen ungewöhnlichen Weg: Das Land will Mücken mit Mücken bekämpfen.

Bakterien bremsen Mücken aus

Dafür baut die Non-Profit-Organisation World Mosquito Program (WMP) eine Mückenfabrik in Brasilien. Anfang kommenden Jahres soll sie fertiggestellt sein und dann pro Woche bis zu 100 Millionen Moskitoeier produzieren. Die geschlüpften Mücken sollen schließlich in Städten und Dörfern im ganzen Land freigelassen werden und die Gelbfiebermücken zurückdrängen.

Noch mehr Mücken, noch mehr Probleme, könnte man meinen. Doch es sind nicht irgendwelche Mücken, die in der Fabrik schlüpfen sollen. Sie sind mit dem Bakterium Wolbachia pipientis infiziert.

„Wolbachia-Bakterien findet man in fast der Hälfte aller Insektenarten“, erklärt Cameron Simmons, Direktor des Instituts für vektorübertragene Krankheiten an der Monash University in Melbourne (Australien). Er leitet die Forschung zur sogenannten Wolbachia-Methode. Dabei wird das Bakterium aus Fruchtfliegen isoliert, in Eier der Gelbfiebermücke eingebracht und so verhindert, dass die Tiere Krankheitserreger wie das Dengue-Virus weitergeben. „Das Wolbachia-Bakterium besetzt einen bestimmten Bereich der Insektenzelle, den das Virus braucht, um sich zu vermehren. Das Bakterium ist eine physische Blockade in der Zelle.“ Gleichzeitig konkurriert es mit dem Virus um lebenswichtige Ressourcen.

Wolbachia kann jahrelang in Mücken fortbestehen

Der Vorteil der Wolbachia-Methode ist aus Sicht von Simmons, dass sie eine langfristige Wirkung hat. Denn paaren sich mit Wolbachia infizierte Mückenweibchen mit nicht infizierten Männchen, wird das Bakterium an die Nachkommen weitergegeben. Das Gleiche passiert, wenn sowohl Männchen als auch Weibchen mit Wolbachia infiziert sind. Ist das Mückenmännchen infiziert, das Weibchen jedoch nicht, schlüpfen die Nachkommen nicht. „Das führt dazu, dass sich Wolbachia stabil in der Mückenpopulation etabliert“, sagt der Forscher.

In 14 Ländern haben Simmons und sein Team die Wolbachia-Methode schon eingesetzt. In Indonesien zum Beispiel, in Australien, Vietnam. Die Ergebnisse seien vielversprechend: „Die Zahl der Dengue-Fälle geht drastisch zurück, und das tut sie auch jahrelang, nachdem Wolbachia etabliert wurde“, sagt Simmons. In der indonesischen Stadt Yogyakarta war die Zahl der Dengue-Fälle innerhalb von zweieinhalb Jahren um 77 Prozent zurückgegangen, die Zahl der Krankenhausfälle sogar um 86 Prozent. Das hatte eine Kontrollstudie des WMP später gezeigt.

Dieser Erfolg soll sich in Brasilien wiederholen.

Ideale Lebensbedingungen für Mücken in Brasilien

Die Wolbachia-Methode kommt in Brasilien schon länger zum Einsatz. 2014 wurden die ersten mit Wolbachia infizierten Mücken in Rio de Janeiro ausgesetzt, drei Jahre später folgten dann großflächige Einsätze. Inzwischen würde die Methode nach Angaben des WMP mehr als drei Millionen Menschen in den Städten Rio de Janeiro, Niterói, Belo Horizonte, Campo Grande und Petrolina schützen. Die Fabrik ist der nächste Schritt, um weitere Gebiete zu erschließen. Denn – das zeigen die aktuellen Fallzahlen – die bisherigen Bemühungen reichen offenbar nicht aus, um die Mücken zu stoppen.

Dass momentan so viele Menschen an Dengue erkranken, habe verschiedene Gründe, sagt Tropenmediziner Siqueira. Zum einen ist die Gelbfiebermücke nicht der einzige fliegende Krankheitsüberträger. Auch die Asiatische Tigermücke (Aedes albopictus) ist in Brasilien verbreitet und ebenfalls Überträger des Dengue-Virus. Gegen diese Mücken wird die Wolbachia-Methode nicht eingesetzt.

Beide Mückenarten haben in dieser Saison ideale Lebensbedingungen in Südamerika gefunden. Hohe Temperaturen, mehr Regen und Überschwemmungen, bei denen stehendes Wasser zurückbleibt, in das die Mücken ihre Eier ablegen können. „Das sind Bedingungen, die es den Mücken ermöglichen, sich in Regionen auszubreiten, in denen sie vorher nicht so häufig vorkamen“, sagt Siqueira. So erleben jetzt auch Peru und Argentinien Dengue-Ausbrüche. Länder, die vorher in schlimmen Zeiten wenige Tausend Fälle verzeichneten, und nicht wie jetzt Hunderttausende.

Überwachungsmaßnahmen eingestellt

Gleichzeitig wurden in Brasilien Überwachungs- und Kontrollmaßnahmen zu Arboviren, also den von Mücken übertragenen Krankheitserregern, reduziert. Eine Folge der Corona-Pandemie. Sonst seien in der Zeit zwischen den Dengue-Ausbrüchen Hausbesuche durchgeführt worden, um zu kontrollieren, ob es dort Brutplätze für Mücken gibt, berichtet Siqueira.

Jetzt ist es dafür schon zu spät. Die Mücken sind längst geschlüpft. Und die adulten Tiere mit Insektiziden zu bekämpfen, ist zumindest bei der Gelbfiebermücke oft zwecklos. Denn sie ist gegen die meisten Insektizide immun.

Mit Dengue kommen Zika und Chikungunya

Die Mückenplage ist aber nicht nur wegen Dengue ein Problem. Die Gelbfiebermücke und die Tigermücke stehen auch mit Krankheiten wie Chikungunya und Zika in Verbindung. Die Erkrankungen, die von der Symptomatik Dengue sehr ähneln, spielten in Brasilien bisher nur eine untergeordnete Rolle, sagt Tropenmediziner Siqueira. „Aber es ist nur eine Frage der Zeit, bis diese Viren auch Ausbrüche und Übertragungen verursachen.“

Und es ist wohl auch nur eine Frage der Zeit, bis die Mücken andernorts noch nie dagewesene, schwerwiegende Ausbrüche hervorrufen werden. Denn längst haben sie die südamerikanischen Grenzen überschritten.

Mücken breiten sich rasant weltweit aus

In den vergangenen zwei Jahrzehnten hätten die Dengue-Fälle weltweit deutlich zugenommen, berichtet die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Ende vergangenen Jahres. Die Organisation spricht von einer „großen Herausforderung für die öffentliche Gesundheit“. Von 2000 bis 2019 sei die Zahl der weltweit gemeldeten Fälle von 500.000 auf 5,2 Millionen gestiegen – und habe sich damit verzehnfacht. Epizentrum der Tropenkrankheit bleibt Südamerika, doch auch in Asien und Nordafrika tauchen immer mehr Fälle auf.

Die Gelbfiebermücke und die Asiatische Tigermücke würden sich zunehmend in Ländern verbreiten, die bis zuletzt noch Dengue-naiv gewesen sind, erklärt die WHO. Und Grund dafür ist in erster Linie der Klimawandel: Er führt zu höheren Temperaturen, mehr Niederschlägen und einer höheren Luftfeuchtigkeit – und schafft damit bessere Verbreitungsmöglichkeiten für die Mücken. So gelingt es den Tieren, sich in Ländern anzusiedeln, in denen es bisher zu kalt war.

Ein anderer Einflussfaktor ist die Globalisierung. Durch den internationalen Warenhandel und Flugverkehr können die Mücken als blinde Passagiere in andere Länder eingeschleust werden. So sind die Gelbfiebermücke und die Asiatische Tigermücke zum Beispiel auch nach Deutschland gekommen.

Gelbfiebermücke als Urlaubssouvenir

Im März 2016 kam eine Frau von ihrer Karibikreise nach Deutschland zurück. Sie hatte Ableger von drei exotischen Pflanzen dabei, an denen Eier der Gelbfiebermücke angehaftet waren. Das stellte die Frau jedoch erst zu Hause fest, als die ersten Tiere durch ihr Wohnzimmer flogen und sie Dutzende Larven in den Pflanzenschalen entdeckte. Sie entsorgte die Larven und tötete herumschwirrende Tiere, die sie zum Teil an das Citizen-Science-Projekt „Mückenatlas“ schickte. So stellte sich heraus, dass es sich um die tropische Gelbfiebermücke handelte. Dengue-, Zika- und Chikungunya-Viren konnten bei den Tieren nicht gefunden werden.

Über diesen Fall berichtete ein Team um den Parasitologen Helge Kampen in der Fachzeitschrift „Eurosurveillance“. Es ist bis dato das erste und einzige Mal gewesen, dass die Gelbfiebermücke in Deutschland gefunden wurde. „In der Natur gab es bisher keinen Nachweis“, erklärt das Friedrich-Loeffler-Institut auf Nachfrage.

Asiatische Tigermücke breitet sich in Deutschland aus

Anders sieht es bei der Asiatischen Tigermücke aus. Sie hat sich inzwischen vor allem im Südwesten Deutschlands ausgebreitet. Etablierte Populationen gibt es rund um Stuttgart, Mannheim und Frankfurt am Main.

„Die Tigermücke ist sehr anpassungsfähig“, sagt Jonas Schmidt-Chanasit. Der Arzt vom Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin in Hamburg ist spezialisiert auf Zoonosen, dazu gehören auch die Mücken und deren Viren. Er ist überzeugt, dass sich die Tigermücke weiter ausbreiten wird: „Über kurz oder lang wird sie in den meisten urbanen Gebieten Deutschlands anzutreffen sein.“ Denn die Erderwärmung spielt der Mücke auch hierzulande in die Karten. „Der Klimawandel und die höheren Temperaturen führen dazu, dass sich die Tigermücke schneller vermehren kann, sie früher schlüpft – Anfang April, Mitte April – und dass die Periode, wenn sie aktiv ist, auch länger ist – teilweise bis in den Oktober hinein, je nachdem, wie warm der Herbst ist.“

Kleine Cluster statt großer Ausbrüche

Was es für die heimischen Mückenarten bedeutet, wenn sich die Tigermücke weiter ausbreitet, sei noch nicht ausreichend geklärt, sagt der Mediziner. Was er aber für sehr wahrscheinlich hält, ist, dass auch in Deutschland Dengue-Fälle auftreten werden. Das Robert Koch-Institut hat schon jetzt Fälle erfasst, 1039 waren es im vergangenen Jahr. Auch vereinzelte Zika- und Chikungunya-Erkrankungen finden sich in den Statistiken.

Bei allen Krankheitsfällen handelt es sich jedoch um Fälle, die außerhalb Deutschlands erworben wurden. „Hier vor Ort erworben gibt es noch keine Dengue-Fälle“, stellt Schmidt-Chanasit klar. „Und auch in den Tigermücken konnten wir bisher keine exotischen Viren nachweisen. Das ist aber etwas, das in Zukunft mit hoher Sicherheit passieren kann.“ Der Virologe rechnet eher mit einzelnen Fällen oder kleineren Krankheitsclustern, so wie zum Beispiel in Frankreich. Explosivausbrüche mit Millionen Fällen wie in Brasilien seien aufgrund der Jahreszeiten und der allgemein noch zu niedrigen Temperaturen nicht zu erwarten.

Brasilien will Dengue wegimpfen

In Südamerika versucht man derweil, den Dengue-Ausbruch zusätzlich mit Impfstoffen einzudämmen. Im März vergangenen Jahres hatte Brasiliens Arzneimittelbehörde den Dengue-Impfstoff Qdenga zugelassen. 6,6 Millionen Dosen hatte die Regierung beim japanischen Hersteller Takeda bestellt – zu wenig, um die gesamte Bevölkerung zu impfen. Deshalb beschränkt sich das Impfprogramm auf 521 Gemeinden und dort auf Kinder und Jugendliche zwischen zehn und 14 Jahren, da sie am zweithäufigsten mit Dengue ins Krankenhaus eingewiesen werden müssen.

„Wir haben noch keine Bewertung der Wirksamkeit der Impfung“, sagt Tropenmediziner Siqueira. „Der gesunde Menschenverstand sagt uns aber, dass sie in dieser Saison keine große Wirkung mehr haben wird, vielleicht in der kommenden Saison.“ Das Problem war auch, dass der Impfstoff nicht überall auf Akzeptanz gestoßen ist: „In einigen Regionen wurde der Impfstoff nur in geringem Umfang eingesetzt, obwohl er kostenlos zur Verfügung stand.“

Wie der Kampf gegen die Tropenkrankheiten gelingen kann

Eine Allzweckwaffe gegen Dengue ist der Impfstoff nicht. Das weiß Siqueira genau. Und trotzdem sieht er das Vakzin als wichtiges Instrument an, um der Mückenplage Herr zu werden. „Was wir noch benötigen, ist ein Gesundheitssystem, das in der Lage ist, mit diesem Anstieg an Dengue-Fällen umzugehen“, sagt der Mediziner. „Wenn das Gesundheitssystem nicht vorbereitet ist und die Patienten stundenlang im Wartezimmer sitzen, bis sie zum ersten Mal den Arzt sehen, und in der Zwischenzeit keine Flüssigkeit oder Aufmerksamkeit bekommen, verschlechtert sich ihr Zustand und dann gibt es mehr Komplikationen und Todesfälle.“

Aus Sicht von Mediziner Schmidt-Chanasit braucht es zusätzlich mehr Wissenschaft und Forschung rund um die Mücken und deren Krankheitserreger sowie eine bessere Aufklärung der Bevölkerung. „Es ist klar, dass nicht eine pharmazeutische Intervention und eine nicht pharmazeutische Intervention allein irgendwas herumreißen werden, sondern es muss immer alles zusammen gedacht werden“, sagt er. Und auch die Wolbachia-Methode sei am Ende nur eine Säule der Mückenbekämpfung. „Das ist nicht etwas, wo man sagen kann: Das wird uns alle retten.“

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